Sehr geehrter Herr Dr. Nawrath,
die SPD-Fraktion beantragt, folgende Fragen, gerne schriftlich vorab, zur o.g. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Kreisentwicklung und Energie zu beantworten:
- Welche Teile des Kreisgebietes hängen am L-Gas-Netz, welche Teile am H-Gas-Netz? Bitte nach Ortslagen je Stadt aufschlüsseln.
- Wann sollen einzelne Ortslagen von L- nach H-Gas umgestellt werden? Bitte nach Städten und Ortslagen aufschlüsseln.
- Welche Möglichkeiten gibt es, diese Umstellung auf der Zeitachse nach hinten zu schieben, um auch so die Abhängigkeit von russischem Gas zu minimieren?
- Wie hoch ist die Gasabhängigkeit des produzierenden Gewerbes im Rhein-Erft-Kreis?
- Gibt es Erkenntnisse über Substitutionsbemühungen und Verringerungen dieser Abhängigkeiten? Wie sehen diese aus?
- Wie ist die wirtschaftliche Situation der Unternehmen nach (bisher) überstandener Corona-Pandemie und nun steigenden Gas- und Strompreisen?
- Wie viele Arbeitsplätze sind im Kreis aufgrund der gestiegenen und wohl weiter steigenden Energiepreise gefährdet?
- Wie ist die finanzielle Situation der Gasversorgungsunternehmen im Kreis (etwa Stadtwerke, GVG)? Drohen Situationen wie bei Uniper bei Versorgungsunternehmen im Kreisgebiet „im Kleinen“?
- Wie sind die Aussagen bzw. Garantien der Gasversorgungsunternehmen im Kreis, die Bereitstellung von Erdgas über den Winter 2022/23 auch technisch jederzeit gewährleisten zu können?
- Gibt es Ortslagen, die mit L-Gas beliefert werden, welches heruntergemischtes H-Gas ist?
- Im Rhein-Erft-Kreis wird eine Reihe von Gasen produziert (u.a. Biogas, Wasserstoff). Welche Möglichkeiten bestehen hier, diese Gase zeitnah für die Gasversorgung bereitzustellen? Sind Zumischungen in L- und/oder H-Gas möglich?
- Welche Möglichkeiten der dezentralen Gasversorgung bestehen im Kreis? Können bspw. LPG-Gastanks bevorratet werden, um für den „mobilen“ Notfalleinsatz im Winter genutzt zu werden, auch wenn sie i.W. Propan und Butan enthalten? Bestehen im Kreisgebiet LNG-Speichermöglichkeiten?
- Wie konkret sind die Pläne des Kreises, in einem Katastrophenfall (hier: fehlendes Gas) die Gasversorgung sicherzustellen (ausgehend von den Verpflichtungen gemäß Notfallplan Gas)?
- Wie konkret sind die Planungen des Kreises und wie groß ist die Zahl des (ggf. auch aus der Privatwirtschaft) aktivierbaren Personals, nach einem Gasausfall und der automatischen Notabschaltung vieler Gasverbraucher tausende Anlagen sehr schnell wieder an das Netz zu bringen, um einen dauerhaften Verlust gewerblicher und privater Gasinfrastruktur und davon abhängender Anlagen und Gebäude aktiv zu verhindern?
Begründung:
Der Ukraine-Krieg und das menschenverachtende Agieren der Regierung Putin in Moskau wirft viele Fragen auf. An dieser Stelle soll es nur um das Thema der regionalen Gasversorgung gehen.
Deutsche Gasspeicher sind – Stand 21.07.22 – zu 65,1% gefüllt, wie GIE AGSI berichtet (Quelle: https://agsi.gie.eu, siehe Bild 1). Für eine sichere Gasversorgung im Winter sei bis dahin ein Füllstand von ca. 90% erforderlich (Quelle Begründung zur Novelle des EnWG § 35b Füllstandsvorgaben; Bereitstellung ungenutzter Speicherkapazitäten; Verordnungsermächtigung). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat am 30.03.2022 die Frühwarnstufe des (2019 aufgestellten) Notfallplans Gas ausgerufen. Am 23.06.2022 folgte die Alarmstufe, nachdem Russland die Gaszufuhr über die Pipeline „North Stream 1“ gedrosselt hatte (siehe Bild 2). Im Zeitraum 11. bis 20.07.2022 wurde die Gaslieferung über diesen Weg (aufgrund von Wartungsarbeiten) komplett ausgesetzt. Zum 21.07.22 wurde die Gaslieferung, weiterhin gedrosselt, wieder aufgenommen. Es ist noch unklar, ob das reduzierte Niveau von der Zeit vor der Wartung wieder erreicht wird. Von einer Volllast spricht niemand mehr. Inzwischen melden erste Gasversorger finanzielle Probleme. Das Unternehmen Uniper soll ähnlich wie die Lufthansa durch Aktienankauf über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds gestützt werden. Die sichere, kontinuierliche Gasversorgung aller Kunden in Deutschland über den Winter 2022/23 wird angezweifelt. Die Bundesregierung steuerte bis Anfang Juli mit einer Reihe von Krisengesetzen dieser bedrohlichen Entwicklung entgegen, so mit dem Gasspeichergesetz, dem LNG-Beschleunigungsgesetz, Energiesicherungsgesetz und dem Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz.
Gleichzeitig ist das deutsche Gasnetz nach Gasqualitäten zweigeteilt, in ein H-Gas-Netz (v.a. mit russischem und norwegischem Gas) sowie ein L-Gas-Netz (v.a. mit niederländischem Gas). Aufgrund des beschlossenen Endes der niederländischen Gasexporte im Jahr 2029 gibt es seit einigen Jahren das Projekt „Marktraumumstellung“ (MRU). Der Rhein-Erft-Kreis wurde traditionell mit L-Gas versorgt. Einzelne Ortslagen sind nun bereits auf H-Gas umgestellt. Dieses trifft etwa in Frechen auf die Ortslagen Grefrath und Habbelrath zu, während die übrige Stadt erst ab 2027 nur noch H-Gas erhalten soll.
Es sollten Maßnahmen zur Reduktion von russischem H-Gas ergriffen werden. Auch die kommunale Ebene sollte versuchen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun.
Die kriegerische Lage in der Ukraine und die aktive Gefährdung der Lebensgrundlagen in Europa durch den russischen Aggressor verlangen, der neuen Realität Rechnung zu tragen und die vor dem Winter bestehende Zeit zu nutzen, um den Rhein-Erft-Kreis krisensicher aufzustellen. Die Menschen haben ein Recht darauf, dass sich Verwaltung und Politik intelligent und proaktiv den Gefahren stellen und alles zur Sicherung der Lebensgrundlagen in unser freiheitlich-demokratischen, toleranten und menschenfreundlichen Gesellschaft unternehmen. Nachdem auf Bundesebene die Basis geschaffen wurde, hat die kommunale Ebene diese Bemühungen nun auch lokal zum Erfolg zu führen.
Mit freundlichen Grüßen
Dierk Timm, Fraktionsvorsitzender