
Lesen Sie hier den Beitrag. "Braunkohle aus dem Feuer holen! Perspektiven einer CO2-armen Nutzung als Chemierohstoff" von Guido van den Berg MdL, Düsseldorf, der in der August-Ausgabe 2016 der Zeitschrift "Chemie&More" veröffentlicht wurde:
Chemie ist Teil der Lösung bei Maßnahmen zum Klimaschutz nicht Teil deProblems. Chemiker sind davon überzeugt; bei Politik und Öffentlichkeit muss man hierfür oftmals werben. Gerade im Bereich des Klimaschutzes kann aber deutlich gemacht werden, dass Chemie die Grundlagen für Effizienzoptionen schafft, Produktalternativen eröffnet und das Entwickeln von Stoffkreisläufen ermöglicht.
Braunkohle als Basis für die Chemie
Und so ist es auch hier: Chemie als Teil der Lösung kann auch mit Blick auf die heute in Deutschland so umkämpft erscheinende Braunkohle ganz neue Lösungsräume eröffnen. Warum? Man kann mit Braunkohle weit intelligentere Dinge anstellen, als nur Wasser warm zu machen und eine Turbine anzutreiben. Man muss den Kohlenstoff nicht zwangsläufig in CO2 umsetzen, sondern kann ihn in Synthesegas wandeln, indem bei hohen Temperaturen und einer eingeschränkten Menge Sauerstoff die Kohle eben nicht verbrannt, sondern in ein Gasgemisch aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid umgesetzt wird. Dieses Synthesegas, das identisch mit Erzeugnissen aus konventionellem Erdgas wäre, kann dann als Universalwerkstoff für zahlreiche chemische Produktgruppen (z.B. Methanol, Ammoniak, Naphtha oder Methan) dienen.
100 Jahre alte Verfahren
Die technischen Verfahren hierzu sind vor rund 100 Jahren in Deutschland erfunden worden (Bergius-Pier, Fischer-Tropsch); durch die Basierung der chemischen Industrie auf das Importgut Erdöl nach dem Zweiten Weltkrieg sind diese Möglichkeiten, den heimischen Rohstoff nicht nur als Energie- sondern auch als Rohstoffträger zu sehen, in Vergessenheit geraten. In anderen Teilen der Welt hingegen keineswegs! Anwendung gibt es in den USA und in Indien. Südafrika ist es so gelungen, seinen Erdölbedarf zu großen Teilen durch heimische Rohstoffe zu substituieren, und China hat das Ziel ausgegeben, seine chemische Industrie völlig unabhängig von Erdölimporten zu machen. Die größten technischen und kommerziell genutzten Anlagen zur Synthesegasherstellung aus Kohle sind dementsprechend heute in China anzutreffen.
Braunkohle im Zeichen der Energiewende
Wenn man wirklich sektorübergreifend denkt, kann die Energiewende in Deutschland jetzt zur großen Chance werden, Braunkohle in höheren Wertschöpfungsebenen zu veredeln und gleichzeitig CO2 zu sparen. Wieso? Während bei der Verbrennung zur Stromerzeugung 100 % des Kohlenstoffs zu CO2 gewandelt werden, wird bei der stofflichen Kohlenutzung etwa die Hälfte des Ausgangskohlenstoffs in den erzeugten Chemikalien gebunden. Folglich sinken im Vergleich zur Kohleverstromung auch die CO2-Emissionen um etwa 50 %. Wenn die Erneuerbaren Energien, wie politisch gewünscht, bis zum Jahr 2050 mehr als 80 % der Stromproduktion abdecken sollen, so muss ihre bisherige Unzuverlässigkeit für die Bedarfsdeckung gelöst und
Speichermöglichkeiten entwickelt werden. Nach heutiger Erkenntnislage bieten sich v.a. chemische Großspeicher an. Wenn hier Elektrolysen und Wasserstoff eine Rolle spielen, wäre das ideal für die Veredlung der Braunkohle. Durch Einkopplung von CO2-emissionsfrei erzeugtem Wasserstoff kann bis nahezu 100 % des Kohlenstoffs aus der Kohle in den chemischen Produkten gebunden werden. Es wäre damit möglich, bei der stofflichen Kohlenutzung 0-CO2-Emission zu erreichen.
Braunkohle enthält momentan im Vergleich zu flüssigen und gasförmigen Kohlenstoffquellen relativ viel Sauerstoff und Kohlenstoff jedoch wenig Wasserstoff, sodass sich primär erst einmal Produkte mit ähnlicher Verteilung dieser Stoffe (wie z.B. Ameisen- oder Essigsäure) anbieten. Mit der Verfügbarkeit von Wasserstoff aus sog. erneuerbarer Überschussenergie steigern sich die Einsatzpotenziale in anderen Stoffgruppen (z.B. Propylen, Ethylen). Zudem muss man den strategischen Vorteil betrachten, dass aus der Braunkohle etwa im Vergleich zum Erdöl sehr schwefelarme Produkte erzeugt werden können.
Synthesegaswandlung
Wichtig zu sehen ist, dass die Synthesegaswandlung nicht nur mit Braunkohle funktioniert, sondern auch andere biogene Einsatzstoffe genutzt werden können. Die Technologie bietet den Einstieg in eine
Bioökonomie unter der Nutzung nachwachsender Rohstoffe der zweiten oder dritten Generation. Der CO2-Minderungseffekt der Biomasse ist hier doppelt so hoch wie bei der Verbrennung. Die Verbindung mit der Einkopplung von Wasserstoff könnte die Nutzung von Biomasse mit diesen Technologien im besten Fall sogar zu einer CO2-Senke entwickeln.
Die Rolle der Politik
Was macht die Politik? Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat in einer von 2013 bis 2015 eingesetzten Chemie-Expertenkommission aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft u.a. eben auch intensiv die Frage untersucht, inwieweit eine stoffliche Nutzung von Braunkohle ein nachhaltiger Beitrag zur Entwicklung der Industrie sein kann. Über alle Fraktionen des Parlaments kam die Kommission zu dem einstimmigen Votum, dass die Umwandlung der Braunkohle in Synthesegas mit einer Pilotanlage gefördert und einer Forschungsbegleitung unterstützt werden sollte. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ihrerseits hat 2011 eine Innovationsregion Rheinisches Revier (IRR) gegründet, die 2015 im Rahmen eines Projektwettbewerbs die besten Ideen zur Förderung des erwarteten Strukturwandels ausgewählt hat. Hier gehört die Nutzung der Braunkohle als Chemie-Rohstoff zu den ebenfalls von der Politik einstimmig benannten Starterprojekten für 2016. Zudem hat das Landeskabinett die stoffliche Nutzung als Element des Strukturwandels in den Entwurf seiner jüngsten Leitentscheidung für Braunkohleplanung im Rheinischen Revier aufgenommen.
Industrielle Ansätze
Das Bergbauunternehmen RWE hat einen eigenen Entwicklungspfad entworfen undbereits zum Jahresbeginn 2016 einen Katalyse-Teststand am Kraftwerk Bergheim-Niederaußem eingerichtet, der u.a. Fischer-Tropsch-Katalysatoren erproben soll. Dieser wird vom Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen der anwendungsorientierten Verbundforschung Cooretec gefördert. In Richtung der Bundespolitik wäre es spannend, eine stoffliche Braunkohlennutzung, bei der der Kohlenstoff in Produkten gebunden bleibt, auch folgerichtig bei derCO2-Besteuerung im Emissionshandel zu behandeln. Dies wäre konsequent und würde die Markteinführung unterstützen. Zu beachten ist, dass bei Produkten mit Kohlenstoff aus Braunkohle (für z.B. Kunststoffe, Schmierstoffe und Treibstoffe) die gesamte Wertschöpfungskette im Inland liegen würde. Das diversifiziert die Rohstoffbasis unserer Produktion, ist positiv für die Beschäftigung und stärkt den Industrie- und Wissenschaftsstandort nachhaltig. Effektiver Klimaschutz, innovative Produktionsimpulse und längerfristige Planungssicherheiten müssen sich nicht ausschließen. Was man dafür verlassen muss, ist das vereinfachte Glauben von Kohleausstiegs-Parolen. Braunkohle muss nicht länger nur Energieträger sein, sondern kann intelligent als CO2-armer Rohstoffträger entdeckt werden.
Ausblick
Mit der skizzierten Technologie-Strategie kann die deutsche Politik mehrere ungelöste Dilemmata angehen: Sie kann eine CO2-freie Braunkohlenutzung entwickeln und einen in den Braunkohlerevieren gefürchteten Strukturbruch abwehren. Die Importabhängigkeit vom Erdöl und Erdgas für die produzierende Industrie kann gemindert werden. Versorgungssicherheit für die unsicheren Erneuerbaren kann weiter gewährleistet und gleichsam das Ziel einer starken Reduktion der Kohleverbrennung verfolgt werden. Zudem kann die Tür zur stofflichen Nutzung von Biomasse aufgestoßen werden. Wir müssen uns nur trauen, wirklich sektorübergreifend zu denken. Chemie macht es möglich.
Guido van den Berg
… wurde 1975 in Grevenbroich geboren. Er absolvierte sein Studium der Volkswirtschaft und Politikwissenschaft in Köln und Duisburg als Diplom-Sozialwissenschaftler. Nachdem er von 20042007 als kaufmännischer Angestellter in einer Unternehmensberatung bei Köln tätig war, wechselte er 2008 als persönlicher Referent von Franz Müntefering im Deutschen Bundestag nach Berlin. Von 20102012 arbeitete er im Ministerbüro des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger, in Düsseldorf. Seit 2012 ist er Abgeordneter des NRW-Landtags und Mitglied im Wirtschafts- sowie im Innenausschuss. Er war von 20132015 Sprecher für die SPD-Landtagsfraktion in der Enquetekommission zur Zukunft der chemischen Industrie in NRW. Zudem ist er seit 2014 stellvertretender Landrat des Rhein-Erft-Kreises, der stark vom Strukturwandel im Rheinischen Braunkohlenrevier betroffen ist.