

Der Kölner-Stadt Anzeiger berichtet am 08.11.2010 im Artikel "Die Lieblingsvision der SPD" von Joachim Röhrig über den Kreisparteitag der Rhein-Erft SPD:
"Wenn ich Visionen habe, geh‘ ich zum Arzt, soll Alt-Kanzler Helmut Schmidt einmal gesagt haben. Guido van den Berg sieht das anders. die SPD habe schon immer davon gelebt, über den Tag hinaus zu schauen.
Das Wahlrecht für Frauen, ein vereintes Europa und andere Errungenschaften, die uns heute als selbstverständlich erscheinen, wurden anfangs als Spinnerei verspottet. Die SPD hat jedoch immer schon davon gelebt, über den Tag hinaus zu schauen, erklärte der Vorsitzende der Rhein-Erft-SPD am Samstag am Rande des Kreisparteitages im Niederaußemer Bürgerhaus – und nahm erfreut zur Kenntnis, dass die Sozialdemokraten bei der Umsetzung seiner persönlichen Lieblingsvisionen einen Schritt vorangekommen sind: Mit großer Mehrheit stimmten die Mitglieder einem Modell zur Einführung eines solidarischen Grundeinkommens zu.
Nach dem SPD-Modell soll jeder Bürger lebenslang und bedingungslos so viel Geld vom Staat erhalten wie zur Abdeckung der elementaren Bedürfnisse nötig sei. Das sind nach den Berechnungen der Sozialdemokraten 800 Euro monatlich pro Erwachsenem und 500 Euro pro Kind. Wer sich mehr leisten will, leistet Erwerbsarbeit und zahlt wie bisher Einkommenssteuer. Im Gegenzug sollen fast alle heutigen Sozialleistungen wegfallen.
Niemand, so sagen die Befürworter, müsse mehr Angst vor Altersarmut oder Arbeitslosigkeit haben; niemand könne noch gezwungen werden, für Dumpinglöhne zu arbeiten, und jeder könne dank der finanziellen Absicherung selbst entscheiden, ob er noch von früh bis spät nur Erwerbsarbeit leisten wolle oder seine Zeit verstärkt in ebenfalls wertvolles gemeinnütziges Engagement investieren wolle.
Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde ein Recht auf Faulheit eingeführt, halten die Kritiker entgegen. Niemand würde noch bereit sein, die Drecksarbeiten zu erledigen; die Bereitschaft, überhaupt Erwerbsarbeit zu leisten, würde rapide schrumpfen, und das Ganze sei auch gar nicht finanzierbar.
Über das Für und Wider ihrer Vision diskutieren die Genossen im Kreis schon seit vier Jahren. In mehreren Grundsatzbeschlüssen haben sie sich bereits dafür ausgesprochen, die Idee zu konkretisieren. Dies ist nun geschehen: Auf dem Parteitag stellte die Arbeitsgruppe Grundeinkommen ein detailliertes Modell vor, wonach der Umbau des Sozialstaates in kleinen Schritten erfolgen sollte.
Gute Debatte
Erste Maßnahmen könnten die Einführung einer Kindergrundsicherung und einer steuerfinanzierten Mindestrente sein. Nach einer intensiven Diskussion, die van den Berg als Musterbeispiel für eine gute Debattenkultur bezeichnete, stimmte die Versammlung dem Grundeinkommen-Antrag zu und beauftragte den Vorstand, auf den übergeordneten Parteiebenen, aber auch außerhalb der SPD für das Projekt zu werben. Zustimmung fanden auch die Forderung der Jungsozialisten nach Einführung eines Nachtbusnetzes im Kreisgebiet sowie der Antrag, dass der Bundesgesetzgeber aufgefordert werden soll, die Beweislast bei Bergschäden in den Braunkohlerevieren von den geschädigten Bürgern auf die Schadenverursacher zu verlagern.
Insgesamt wertete van den Berg den ersten Kreisparteitag, zu dem nicht Delegierte aus den einzelnen Ortsverbänden, sondern alle Mitglieder eingeladen waren, als Erfolg. Daran ändere auch nichts, dass von insgesamt rund 3300 Parteigängern nur gut 100 gekommen seien."
Auch die Kölnische Rundschau berichtet über den SPD-Kreisparteitag in ihrem Artikel: "Mehrheit stimmt trotz Bedenken zu" von Eva Junggeburth vom 08.11.2010:
Beim Kreisparteitag der SPD mit 100 Gästen stand ein interessantes Thema an: Eine Projektgruppe hatte durchgerechnet, wie ein Solidarisches Grundeinkommen aussehen könnte. Jeder Erwachsene erhielte demnach 800 Euro monatlich ohne Gegenleistung.
Von der Enkelin bis zum Opa, vom Jungwähler bis zum Partei-Urgestein – am Samstag strömten SPD-Mitglieder aus dem Rhein-Erft-Kreis in die Tennishalle in Niederaußem. Nicht zum Tennisturnier, sondern zu einem Schlagabtausch der anderen Art erschienen rund 100 Gäste.
Die SPD Rhein-Erft hatte zum Kreisparteitag geladen. Der sollte eigentlich schon im Juli stattfinden, musste aber wegen eines Landesparteitages in den November verlegt werden. Unter den Besuchern befanden sich unter anderem Walther Boecker, Bürgermeister in Hürth, Klaus Lennartz, Ehrenvorsitzender der Rhein-Erft-SPD und Hans Krings, Vorsitzender der Kreistagsfraktion.
Das zentrale Thema, das auf der Tagesordnung stand, lautete: Solidarisches Grundeinkommen – eine sozialdemokratische Perspektive. Ein Thema, das an den Kern der SPD als Arbeiterpartei geht, eröffnete der SPD-Kreisvorsitzende Guido van den Berg das Treffen, das mehrere Stunden dauern sollte. Kai Faßbender, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Bergheim, brachte ein Wort ins Spiel, das die Veranstaltung von nun an begleiten sollte. Sind wir Spinner?, fragte er in den Raum. Auch Zweifler sollen ins Überlegen kommen, lasst euch auf das Thema ein.
Bernd Coumanns vom Kreisvorstand begann die Einführung in die Thematik mit einem Geständnis: Ich gehöre auch zu den Spinnern. Er erläuterte, dass 2006 eine Projektgruppe den Auftrag erhielt, in Zusammenarbeit mit Experten ein sozialdemokratisches Modell für ein Grundeinkommen zu erarbeiten. Dabei entstand folgender Plan: Das solidarische Grundeinkommen könnte jeder erhalten, der legal in Deutschland wohnt.
Für jeden Erwachsenen 800 Euro im Monat
Jedem Erwachsenen sollten 800, jedem Kind 500 Euro monatlich als Grundeinkommen zur Verfügung stehen. Um das zu finanzieren, könnte eine negative Einkommenssteuer mit einem Einheitssteuersatz eingeführt werden. Ein Steuersatz von 50 Prozent auf das Einkommen wäre notwendig, sagte Coumanns und blickte in stirnrunzelnde Gesichter.
Würde aber das Grundeinkommen auf die Steuerschuld angerechnet werden, sei die Steuerbelastung für mehr als zwei Drittel aller Haushalte gleich oder sogar geringer als bisher. Jemand, der 2.000 Euro brutto verdient, müsse demnach 1.000 Euro Einkommenssteuer bezahlen. Schlägt man das Grundeinkommen von 800 Euro wieder auf, bliebe eine Steuerschuld von nur 200 Euro. Coumanns rechnete vor: Tatsächlich betrüge in dem Fall der Steuersatz nur zehn Prozent. Millionäre jedoch zahlten dann deutlich mehr. Bei einem Einkommen von einer Million Euro müssten 500.000 Euro als Steuern abgeführt werden, was nach Abrechnung des Grundeinkommens noch immer einer Steuerschuld von 499.200 Euro entspräche.
Die Ziele sind hoch gesteckt. Die Arbeitsgruppe verspricht sich eine menschenwürdige Existenz für alle Mitglieder der Gesellschaft, Bildung für alle und eine Umverteilung von reich nach arm. Einige Sozialdemokraten äußerten ein Bauchgrummeln bei dem Gedanken, wollten aber trotzdem den Antrag unterstützen, um das System zu ändern. Helga Kühn-Mengel stimmte gegen den Antrag: Vorher muss noch vieles andere erledigt werden. Gabi Frechen hingegen befürwortete den Plan: Der Antrag muss an die Bundes-SPD weitergereicht und durchgerechnet werden.
Schließlich stimmte die große Mehrheit der Anwesenden für das Projekt. Der Vorstand der SPD Rhein-Erft und die Projektgruppe sollen das Projekt nun innerhalb der SPD voranbringen, aber auch außerhalb Kooperationspartner gewinnen."
Der Mitglieder-Parteitag der Rhein-Erft-SPD hat den beigefügten Antrag zum "Solidarischen Grundeinkommen" am 06.11.2010 nach intensiver Diskussion mit großer Mehrheit beschlossen.