„Wie war das mit der ’spätrömischen Dekadenz‘ wirklich?“

Auch in diesem Jahr war der Saal beim "Politischen Ascherdonnerstag" gut gefüllt
Auch in diesem Jahr gab es einen vollen Saal zum "Politischen Ascherdonnerstag" der SPD in Pulheim
Dierk A. Timm, Franz-Josef Antwerpes und Guido van den Berg
Dierk A. Timm, Franz-Josef Antwerpes, Guido van den Berg
Gute Laune bei Franz-Josef Antwerpes und Guido van den Berg
Gute Laune bei den Sozialdemokraten in Pulheim

Wenn im Rheinland eine Veranstaltung zweimal stattfindet, ist sie bekanntlich bereits Tradition. Und so veranstaltete die SPD einen weiteren politischen Ascherdonnerstag in Pulheim, bei Kölsch und launigen Reden. Knapp 100 Tage vor der Landtagswahl ging es heiß zur Sache. Nach einer Begrüßung des Pulheimer SPD-Fraktionsvorsitzenden Dierk A. Timm wurden als Redner der Landtagskandidat und SPD-Kreisvorsitzende Guido van den Berg sowie der ehemalige Kölner Regierungspräsident Dr. Franz-Josef Antwerpes erwartet. Bei Kölsch und Brezen wurde dann politisch kräftig ausgeteilt.

Lesen Sie hier den Artikel: "Genossen feierten ihren „Kurfürsten“ – Der frühere Regierungspräsident Franz-Josef Atwerpes unterhielt beim Asherdonnerstag" von Ulrike Weinert aus der Kölnischen Rundschau vom 20.02.2010:

"Unter seinem Spitznamen „Kurfürst von Köln“ lässt sich der ehemalige Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes immer noch gerne einladen. So versprachen sich auch die Pulheimer Sozialdemokraten, die ihn nach 20 Jahren erstmals wieder engagierten, von dem „Kurfürsten“ hohen Unterhaltungswert an ihrem „Ascherdonnerstag“. Der Abend im Kultur- und Medienzentrum sollte „zur Abrechnung mit dem politischen Gegner“ und zum rhetorischen Schlagabtausch ohne die Goldwaage der politischen Korrektheit genutzt werden. Da durfte also knapp 100 Tage vor der NRW-Landtagswahl die verbale Pritsche geschwungen und kraftvoll ausgeteilt werden.

Der Pulheimer SPD-Fraktionsvorsitzende Dierk Timm eröffnete das sozialdemokratische Hänneschen-Theater, indem er die beiden langjährigen CDU-Kommunalpolitiker Wolfgang Thelen und Werner Theisen als „Strippenzieher“ hinter dem neuen Bürgermeister Frank Keppeler ausmachte. Auch aus Pulheimer Reizthemen wie Offene Ganztagsschule, Betreuung unter Dreijähriger, Hallenbad, Naturschutzgebiet Haus Orr und Stadtwerke gewann Timm Inspiration zum Eindreschen auf den politischen Lieblingsfeind.

Nicht minder deftig knöpfte sich der SPD-Kreisvorsitzende und Landtagskandidat Guido van den Berg, nach eigenem Bekunden noch von Karneval-Guido-Witzen geschädigt, die Politik des CDU-Landesverbandes und die seines Namensvetters Westerwelle vor. Selbstverständlich kam auch der aus Pulheim stammende Ministerpräsident Jürgen Rüttgers nicht ungeschoren davon.

Erst dann durfte der „Kurfürst von Köln“ auftreten. Auch Franz-Josef Antwerpes setzte beim derzeit liebsten Watschenmann der Genossen zu verbalen Breitseiten an. Westerwelle solle aufhören, die Deutschen als „ein Volk von Hartz-IV-Gaunern“ zu diffamieren und sich stattdessen die Steuerhinterzieher vornehmen, wetterte Antwerpes. Abitur, Studium und dann ohne Lebenserfahrung in die Politik: „Der hat nie etwas Anständiges gelernt“, kommentierte er den Lebenslauf des Vize-Kanzlers und Außenministers. Er gehöre als pensionierte Regierungspräsident zwar selbst zu dem von der FDP „gehätschelten Mittelstand“, räumte Antwerpes ein, aber sein persönlicher Profit vom Wirtschaftsförderungsgesetz reiche gerade mal, um sich davon ein „in Vietnam hergestelltes Polohemd“ zu leisten.

Die Landesregierung nannte Antwerpes „ein Schiff von Leichtmatrosen mit Kapitän Rüttgers“. Gute Gründe für die Abschaffung von Kopfnoten auf Schulzeugnissen fand der 75-Jährige in der eigenen Biografie. Er habe sogar überlegt, der Schulministerin seine Zeugnisse mit den miserablen Kopfnoten zu schicken, habe das aber aus Angst vor Aberkennung seines Abiturs gelassen.

Noch eine Anekdote von einem Eier-Bewurf vor laufenden Kameras gab Antwerpes zum Besten und schloss mit dem Versprechen, die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft im Wahlkampf zu unterstützen. Mit langem Applaus bedankten sich die Genossen bei ihrem „Kurfürsten“".

Auch die Online-Zeitung Rhein-Erft berichtete mit dem Artikel "Über „Esel“ und „Leichtmatrosen“: Politischer Ascherdonnerstag der SPD" über den Abend.

Pulheim – SPD feiert zweiten Politischen Ascherdonnerstag – Etwa 100 Besucher hatte die Pulheimer SPD ins Kultur- und Medienzentrum an diesem Donnerstagabend gelockt, darunter fast die komplette Ratsfraktion, um politisch Flagge zu zeigen, wenige Monate vor der Landtagswahl in NRW, am 9. Mai 2010. Um die Wirkung der politischen Argumentation zu erhöhen, hatte man prominente Redner eingeladen: den SPD-Kreisvorsitzenden Guido van den Berg und den Regierungspräsidenten a.D., Franz-Josef Antwerpes, den viele den „Kurfürsten“ von Köln nennen, weil er sein „Reich“ manchmal wie ein Monarch geführt hat, so waren z. B. seine „spontanen“ Fahrzeugkontrollen rund um Köln gefürchtet. Das Entrée des Abends absolvierte der Fraktionsvorsitzende der SPD im Rat der Stadt Pulheim, Dierk Timm.

In einem mit SPD-Fähnchen und großer Flagge an der Stirnwand geschmückten Saal teilten sich die Redner die politischen Schwerpunkte auf: Während Dierk Timm eine Tour d’Horizon durch die Pulheimer Politik machte, sollte der SPD-Kreisvorsitzende sich die Landespolitik – schließlich sind am 9. Mai ja Wahlen – dabei natürlich die regierende CDU vorknöpfen, während abschließend Antwerpes zu den aktuellen politischen Debatten Stellung nehmen sollte, ganz aus der Sicht eines „Elder Statesman“.

„Thelen und Theisen: Strippenzieher“

Dierk Timm führte aus, dass er beim neuen Bürgermeister, der keine politischen Akzente setze, Führung vermisse; stattdessen hätten die „Strippenzieher“ der CDU, Wolfgang Thelen und der CDU-Chef Werner Theisen das Sagen. Das Ergebnis von deren Politik sei entsprechend schlecht für die Stadt: Es mangele an deutlicher Transparenz in Sachen Haushaltsgebaren: „Wo ist der Jahresabschluss 2008?“ – und: „Gab es einen Überschuss?“ – Mit dieser Politik, so sein Resumée, ließe sich keine Zukunft gestalten. Die SPD fordere stattdessen deutliche Schwerpunkte etwa in der Bildung, die „nutzbar“ gemacht werden soll. Hierbei sieht sie konkret in Pulheim folgende Ziele:

„Politik nach Gutsherrenart“

Die Offene Ganztagsschule muss als Pflichtaufgabe der Stadt auch adäquat finanziert werden, um die Qualität zu erhalten bzw. auszubauen. Die SPD wäre bereit, hierfür 100.000,- Euro zur Verfügung zu stellen. Auch in die Betreuung der unter-drei-jährigen Kinder muss mehr investiert werden: „Wir müssen für den Umbau von sechs Kindertageseinrichtungen einen städtischen Eigenanteil von 325.000,- Euro zur Verfügung stellen.“ Die zusätzlichern Mittel, da wiederholte der SPD-Fraktions-Chef seine Argumentation aus diversen Gremiensitzungen der Stadt – wir hatten ausführlich darüber berichtet – könne man etwa durch Reduzierung des Budgets für das neue Hallenbad in Stommeln auf 7 Mio Euro gewinnen. Die sich wiederholenden Abwehr-Reaktionen von CDU und FDP im Rat, wenn solche Forderungen der SPD auf den Tisch im Rat kamen – „Wir haben dafür kein Geld“ – konterte Dierk Timm in seiner Rede mit beinharter Kritik: Beim Bau einer Fachhochschule im Kreis oder beim Barbarapark – „wo keiner hingeht“ – würde das Geld regelrecht rausgeschmissen! – Einen Erfolg konnte Dierk Timm dennoch an diesem Abend für sich und seine Fraktion reklamieren: Das Projekt „Haus Orr“ sei wohl, so Timms These, geplatzt, da der Investor, verursacht auch durch die Kritik der SPD – Orr würde bei der Umsetzung der Pläne zu einem „kleinen Disneyland“ – sich wohl von dem Projekt zurückgezogen hat. Insgesamt ließ er an der Politik der Mehrheitsfraktion von CDU und FDP kein gutes Haar: Das ist „Politik nach Gutsherrenart!“.

„Populismuswelle“

Dann stieg der SPD-Kreisvorsitzende in den Ring und dabei einleitend mit einer Distanz zu seinem Namensvetter Guido Westerwelle, der mit seiner „Populismus-Welle“ derzeit Schlagzeilen mache. Dann geißelte er die Klientelpolitik mit dem Ergebnis von Steuersenkungsplänen für bestimmte Lobbygruppen wie die „Hoteliers, Unternehmen und reichen Erben“; wobei CDU und FDP aus taktischen Gründen erst „nach dem 9. Mai reden“ wollen. Natürlich folgte dann eine harsche Kritik an den Verlautbarungen von Westerwelle in Sachen „Harz-IV“. Der „oberste FDP-Hobby-Historiker“ habe keine Ahnung, wovon er spricht, so van den Berg. Van den Berg forderte: Man muss über die Klientelpolitik sprechen, die „Gier und Absahner“ begünstigt.

„Was sollen wir dazu sagen?“

Genüsslich nahm sich der SPD-Mann dann ein Zitat von Heiner Geißler vor. Der ehemalige CDU-Generalsekretär hatte die Hartz-IV-Ausführungen von Westerwelle – „Wer arbeitet soll mehr haben als der Hartz-IV-Bezieher, alles andere führt in eine spätrömische Dekadenz“ – so gekontert: Die spätrömische Dekadenz habe darin bestanden, dass „sich die Reichen nach ihren Fressgelagen in Eselsmilch gebadet haben und Kaiser Caligula einen Esel zum Konsul ernannt hat“. Geißler meinte dann, so zitierte ihn van den Berg weiter, Westerwelles Vergleich sei insoweit richtig: „Vor 100 Tagen ist ein Bundesaußenminister Esel geworden.“ Guido van den Berg fragte dann ins Plenum, welches das Zitat Geißlers mit heftigem Beifall honoriert hatte – „Was sollen wir dazu sagen?“

Zum Schluss seiner Rede munterte der Landtagsabgeordnete in spe seine Genossen in Pulheim auf: „Der Karneval ist mit dem Aschermittwoch vorbei. Sorgen wir dafür, dass die Narretei in NRW am 9. Mai endet. Dann wird auch Herr Rüttgers seine Verkleidung als Arbeiterführer ablegen müssen.“

„Pinkwart ist nicht das Gelbe vom Ei“

Franz-Josef Antwerpes ging natürlich auch auf die Causa Westerwelle ein, wie sein Vorredner, nur noch zugespitzter: Der Westerwelle habe doch wenige Ahnung davon, wovon er rede; deshalb, weil „dieser Mann direkt nach dem Abi in die Politik gegangen“ sei; der „hat doch keinen Beruf gelernt“. Und: Der sollte aufhören, so Antwerpes weiter, „auf den kleinen Leuten rumzuhacken, sondern sich um die kümmern, die die Millionen beiseite schaffen“ – starker Beifall hierauf aus dem Publikum, welches sich bei manchen Äußerungen des Kölner „Kurfürsten“ regelrecht amüsiert zeigte. Etwa dann, wenn er vorrechnete, wie viel Geld die Steuerreform von „Schwarz-Gelb“ ihm für seine Pension brächte: „Ganze 22,- Euro mehr!“. Oder: „Pinkwart ist nicht das Gelbe vom Ei!“.

„Leichtmatrosen“

Aber nicht nur der Vize-Ministerpräsident von NRW bekam sein Fett weg: „Rüttgers ist ein Arbeiterführer in einem Boot von Leichtmatrosen“. Dann nahm er sich kritisch die Themen Hauptschulen („die müssen weg!“), Studiengebühren („müssen auch weg!“) und die „Kopfnoten“ sowieso. Daraufhin provozierte er eine Lachsalve im Publikum, als er, sich bekennend zu teilweise „miserablem“ Verhalten als Schüler: „Ich hatte vor, der Schulministerin Sommer einen Brief zu schreiben“, so erzählte er, „habe es aber sein gelassen, da ich befürchtete, mein Abitur nachträglich aberkannt zu bekommen“. Zum Schluss nahm er sich noch die fatale Politik der Energiegewinnung durch Braunkohle im Land NRW vor. Zwar seien seine Genossen in der SPD „keine geborenen Umweltschützer“, aber, was da an Braunkohlestaub einem „in die Augen geblasen wird“, ohne die „alten Schätzchen“ stillzulegen, ist ein „Unding“. Zum Schluss beteuerte der Mann, der bekannte, „54 Jahre SPD-Mitglied“ zu sein, in aller Offenheit: „Ich habe Hannelore Kraft versprochen, dass ich ihr helfen werde“.

"Guter Anfang"

Bei Kölsch, Cola, Wasser und Brezen, alles spendiert von der SPD, ging man zum geselligen Plausch über. Es scheint, folgt man den Antworten von befragten Besuchern an diesem zweiten „Politischen Ascherdonnerstag“, – wir hatten auch über die erste Veranstaltung in 2009 ausführlich berichtet – dass diese Veranstaltung eine Zukunft auf Dauer hat und geeignet ist, die bei den letzten Kommunalwahlen so arg gebeutelte SPD in Pulheim, aufzumuntern, ihr eine Perspektive zu geben. Mit dem Generationswechsel in der Fraktionsspitze sei da ein „guter Anfang“ gemacht, so eine von mir befragte Genossin.