SPD-Kreisparteitag beschließt neue gesellschaftspolitische Vision

Guido van den Berg auf dem Parteitag der Rhein-Erft SPD
Der SPD-Kreisvorsitzende Guido van den Berg (Mitte) zeigte sich erfreut, dass die Programmarbeit im Rhein-Erft-Kreis zu neuen Visionen geführt hat.
Auf dem Parteitag der Rhein-Erft SPD zum Grundsatzprogramm
Eine überraschend deutliche Mehrheit fand die Forderung, ein sozialdemokratisches Modell für ein Grundeinkommen zu entwickeln.

„Ich bin stolz auf die Rhein-Erft SPD. Wir haben heute den Mut aufgebracht, gemeinsam eine Vision zu formulieren“ so fasste der Kreisvorsitzende der Sozialdemokraten in seinem Schlusswort einen Parteitag zusammen, der inhaltlich viel zu bieten hatte und die Diskussionen auf hohem Niveau geführt wurde. Gleich zu Beginn des Parteitages stellte Guido van den Berg fest, dass die Faszination der Sozialdemokratie vom Kaiserreich, über die Weimarer Republik, die NS-Verfolgung bis zur heutigen Zeit darin bestanden habe, dass „sie immer eine mitreißende Idee hatte, um den Menschen neue Chancen zu eröffnen, Barrieren zur Seite zu schieben und wirkliche Freiheit in der Gesellschaft zu ermöglichen.“

Die SPD hat jetzt in Wesseling ihre Vorschläge für das neue Grundsatzprogramm der SPD formuliert, dass vom 26. bis zum 28. Oktober in Hamburg verabschiedet werden soll. Im Zentrum der Debatten stand ein Antrag des Kreisvorstandes, der empfahl, ein sozialdemokratisches Modell für ein Grundeinkommen zu entwickeln. Nach den Vorstellungen der Rhein-Erft SPD soll das Grundeinkommen nach und nach die bisherigen Transferzahlungen und Sozialleistungen ersetzen. Dabei sollen Reglementierungen und Reduzierungen der Vermögensverhältnisse, wie es bislang beim Arbeitslosengeld II (Hartz IV) der Fall ist, entfallen. Die Debatte hierzu wurde mit großer Leidenschaft geführt, bis schließlich die Abstimmung ein überraschen klares Bild zugunsten des neuen Modells ergab.

Wie mutig diese neuen Ansätze sind, stellte Guido van den Berg heraus: „Wenn man Arbeitslosigkeit einmal als Ergebnis erfolgreichen wirtschaftlichen Handelns begreift, nämlich mit immer weniger Arbeit immer mehr zu produzieren, dann ist es Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei, Modelle zu finden, die ermöglichen, dass der einzelne Mensch und die Gesellschaft von der zusätzlichen Freizeit auch profitieren können.“

Mit ihrem Beschluss ist die Rhein-Erft SPD bundesweit der erste von 350 Kreisverbänden, der sich damit von dem Ziel der Vollbeschäftigung verabschiedet und stattdessen nach einem alternativen Sozialstaatsmodell sucht. Guido van den Berg: „Wir wollen damit auch konsequent Kindererziehung, Pflege von Angehörigen und das Ehrenamt als wichtige Tätigkeiten für unserer Gesellschaft anerkennen.“ Die Delegierten der Rhein-Erft SPD zum SPD-Bundesparteitag im Oktober in Hamburg erhielten den Auftrag für die Idee des Grundeinkommens zu werben, der Kreisvorstand wurde beauftragt ein konkretes sozialdemokratisches Modell in den kommenden zwei Jahren zu entwickeln.

Viel Kritik gab es auf dem Kreisparteitag an dem bisherigen Entwurf der Bundes-SPD für ein Grundsatzprogramm. Dieser sei mit über 60 DIN-A4 Seiten zu lang, zu beschreibend und vor allem zu mutlos, da er in vielen Bereichen nur die aktuelle Regierungspolitik widerspiegle. Gleich mehrere Beschlüsse des Kreisparteitages dokumentieren dies: Es wurde eine nur neun Seiten umfassende Kurzfassung des Programms beschlossen, man präzisierte den historischen Auftrag der SPD, die Definition der Grundwerte und straffte ganze Kapitel auf die Hälfte ihres ursprünglichen Umfangs. Für die Bereiche Integration und Einwanderung, für das Kapitel zur Bildungspolitik und zum Thema ökologische Industriepolitik wurden neue Vorschläge von der Rhein-Erft SPD auf den Weg gebracht.

Neben dem Grundsatzprogramm befasste sich der Parteitag auch mit aktuellen tagespolitischen Themen. Die SPD-Bundestagsfraktion wurde aufgefordert, ein schlüssiges Gesamtkonzept für den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan vorzulegen, bevor der Afghanistan-Einsatz im Herbst im Bundestag verlängert werden kann.
Ein weiteres Thema waren Kindergartengebühren. Die Kreis SPD strebt klar den gebührenfreien Kindergarten an und fordert die Landespolitik auf, hierfür die Vorraussetzungen zu schaffen.

Mit überwältigender Mehrheit wurde ein Antrag angenommen, der sich mit der Situation bei der Deutschen Telekom beschäftigt unterstreicht, dass die SPD an der Seite der streikenden Arbeitnehmer steht.

Die Kölnische Rundschau berichtet in ihrem Artikel: "Sexy Vision oder Werteverrat? – SPD diskutierte bei ihrem Kreisparteitag die Idee des Grundeinkommens" von Bernd Rosenbaum in der Ausgabe vom 18.06.2007 wie folgt:

„Nicht mit mir!“, rief Edgar Moron erbost in die Aula der Johannes-Gutenberg-Grundschule: „Mit der Einführung eines Grundeinkommens wollt ihr Euch vom Leistungsprinzip verabschieden. Das ist vielleicht ein schöner Traum, aber das ist keine sozialdemokratische Politik!“ Was den Vizepräsidenten des NRW-Landtages so aufregte, war einer der Tagesordnungspunkte beim Kreisparteitag der SPD zum Grundsatzprogramm, der am Samstag in Wesseling stattfand.
Diskutiert wurde unter anderem die Idee, ein Grundeinkommen einzuführen, das jeder Bundesbürger zeitlebens erhalten soll, ohne dass daran Bedingungen geknüpft würden. Im Gegenzug fielen die meisten Sozial- und Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe weg. Der Kreisparteivorstand schlug vor, das neue Grundsatzprogramm der SPD, das bereits als 64 Seiten starker „Bremer Entwurf“ vorliegt und derzeit in den Ortsvereinen und Kreisverbänden besprochen wird, um einen entsprechenden Passus zum Grundeinkommen zu ergänzen.

Diese recht radikale Vision spaltete die rund 120 Delegierten am Samstag in zwei Lager. Die Befürworter begrüßten unter anderem den zu erwartenden Bürokratieabbau. Die Arbeitsagenturen könnten sich zukünftig wieder auf die Vermittlung von Arbeitsplätzen konzentrieren, statt sich vorrangig mit Bedürftigkeitsprüfungen und Kontrollen befassen zu müssen. Die zu erwartende Stärkung der Arbeitnehmer hob Bernd Coumanns aus Bedburg hervor, der als Vorstandsmitglied den Antrag zum Grundeinkommen vorstellte. Angestellte könnten sich damit viel besser gegen Lohndumping und schlechte Arbeitsbedingungen wehren. Außerdem sehe er eine große Chance für mehr ehrenamtlichen und gemeinnützigen Einsatz.

Ablehnend stand das Kerpener Vorstandsmitglied Hans Krings dem Vorschlag gegenüber: „Ich fürchte, dass das Grundeinkommen die Arbeitsbereitschaft bei den Menschen stark vermindern wird“, erklärte er. Versöhnlicher zeigte sich dagegen die Bundestagsabgeordnete Gabi Frechen aus Hürth. Sie zähle sich zwar auch zu den Grundeinkommens-Gegnern, „weil ich zunächst immer erst die Probleme bei der praktischen Umsetzung sehe“. Doch die Vision, die damit verbunden sei, lehne sie durchaus nicht ab. Sie plädierte dafür, die Diskussion an eine höhere Stelle zu verweisen. Auch der Frechener Hardy Fuß zeigte sich angetan von der Idee. Es gebe schließlich schon jetzt durch die sozialen Sicherungssysteme eine Art Grundeinkommen, das jedoch hochgradig bürokratisiert sei und dringend reformiert werden müsse. Das Grundeinkommen sei eine denkbare Alternative. „Ich finde es ganz sexy, wenn sich Sozialdemokraten damit visionär auseinandersetzen“, erklärte er.

Nach lebhafter Debatte wurde schließlich mit großer Mehrheit beschlossen, die Ergänzung zum Grundeinkommen in das Grundsatzprogramm aufzunehmen. Auch die übrigen Anträge, die sich mit Themen wie Bildung, menschenwürdige Pflege und Nachhaltigkeit befassten, wurden diskutiert und meist nach Vorlage beschlossen."