
Rede von Gabi Frechen im Deutschen Bundestag am 13.05.2005 zum Thema:
Vereinfachung des deutschen Steuerrechts
Ich erteile der Kollegin Gabriele Frechen, SPD-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der SPD)
Gabriele Frechen (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Dr. Wissing, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar dafür, dass Sie Ihren Regierungsentwurf, den Sie zurückgezogen haben, noch einmal erwähnt haben.
(Dr. Volker Wissing [FDP]: Regierungsentwürfe machen wir ab 2006, Frau Kollegin!)
– Ihren Gesetzentwurf, Entschuldigung. Sie werden aber auch ab 2006 keine Regierungsentwürfe machen,
auch wenn sich Herr Thiele hier gerade als neuer Koalitionspartner – statt der Grünen – angebiedert hat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein, nein!)
Ich habe so die Möglichkeit, noch einmal klipp und klar zu sagen, was die Sachverständigen von Ihrer Steuerpolitik halten. Die kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis: Nach Ihrem Entwurf gibt es eklatante Verschiebungen von unten nach oben. In den unteren Einkommensbereichen nehmen die Belastungen zu und
in den oberen Bereichen nehmen die Entlastungen zu. Das ist Ihre Politik, was Steuern anbelangt. Soziale Gerechtigkeit – Fehlanzeige.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auf Ihre Große Anfrage, die heute auf der Tagesordnung steht – auch wenn es ungewöhnlich ist, möchte ich über das sprechen, was auf der Tagesordnung steht -, komme ich gern zurück. Die Bundesregierung hat Ihnen geantwortet: niedrigere Steuersätze, weniger Ausnahmen und kein Reformschritt ohne Vereinfachung.
Die Bundesregierung wird ihre Steuerpolitik auch in Zukunft an diesen bewährten Maximen ausrichten.
(Dr. Volker Wissing [FDP]: Hat sie das schon jemals getan?) Diese Auffassung teilt die SPD-Bundestagsfraktion voll und ganz. – Ich habe gewusst, dass an der Stelle ein Zwischenruf kommt. Ich werden Ihnen das nachweisen, Herr Dr. Wissing.
Erste Maxime: niedrigere Steuersätze. Zu Ihrer Zeit musste jeder und jede Steuerpflichtige vom ersten steuerpflichtigen Euro an – wir hatten damals noch die D-Mark; aber die Kolleginnen und Kollegen können insoweit, denke ich, folgen – 25,9 Cent Einkommensteuer bezahlen. Heute sind es noch 15 Cent. Wir haben den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent sowie den Körperschaftsteuersatz auf 25 Prozent gesenkt. Die Planung für die nächste Zeit sieht eine Senkung auf 19 Prozent vor. Das ist in Europa wettbewerbsfähig.
(Dr. Volker Wissing [FDP]: Das haben Sie doch von der Tagesordnung genommen!)
Herr Dr. Meister, Sie haben eben angemerkt, dass die Personengesellschaften nichts von der Senkung des Körperschaftsteuersatzes hätten. Da gebe ich Ihnen Recht. Aber was ist denn mit der Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer? So etwas hat es zu Ihrer Zeit nie gegeben. Für Personengesellschaften ist doch die Gewerbesteuer heute überhaupt kein Thema mehr.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Sie sehen also, die erste Maxime wurde voll erfüllt.
Zweite Maxime: weniger Ausnahmen. Jetzt könnte ich natürlich das von Ihnen blockierte Steuervergünstigungsabbaugesetz anführen oder die Eigenheimzulage. Das ist aber, wie ich denke, schon zu oft getan worden. Ich gehe noch ein bisschen weiter in die Vergangenheit zurück. Erinnern Sie sich noch an das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002?
(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Erinnern Sie sich an die Steuerreform von Waigel? – Weitere Zurufe von der
CDU/CSU)
Darin enthalten waren: Begrenzung der Verlustverrechnung, Streichung der Abzugsfähigkeit von Verlusten aus ausländischen Betriebsstätten in DBA-Staaten, Beseitigung des Missbrauchs beim Zwei-Konten-Modell, Abzugsverbot von Schmier- und Bestechungsgeldern im Ausland. Das sind nur vier von 70 Ausnahmen, die mit diesem Gesetz wirksam beseitigt wurden.
Das Finanzamt Bad Homburg, ein Finanzamt mit zugegebenermaßen überdurchschnittlich vielen gut verdienenden Menschen, musste noch 1997 3,1 Millionen Euro mehr an Einkommensteuer auszahlen, als es eingenommen hatte. Im Jahr 2001 dagegen betrug die veranlagte Einkommensteuer 128,3 Millionen Euro und in 2002 181,9 Millionen Euro.
(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das sind alles Leute, die in den neuen Ländern investiert haben! Diese werden von Ihnen geschröpft!)
Also war auch die zweite Maxime erfolgreich.
(Beifall bei der SPD)
Dritte Maxime: Vereinfachung. Wer hätte nicht gerne ein Steuerrecht, das einfach und gleichzeitig gerecht ist und dem Staat die Einnahmen bringt, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht?
(Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie offenbar nicht!)
Aber keines der konkurrierenden Modelle – das haben die Landesfinanzminister festgestellt; ich erinnere an die Diskussion von vor drei Wochen – erfüllt diese Bedingungen. Ein Modell ist nämlich entweder einfach oder gerecht. Beides geht nicht. Die Folge der Umsetzung eines der Reformmodelle wäre, dass eine Umverteilung von unten nach oben vorgenommen würde. Das gilt übrigens auch für das Modell, das sich die Union auf die Fahnen geschrieben hat und mit dem im Moment Herr Rüttgers versucht, den Menschen in Nordrhein-Westfalen Sand in die Augen zu streuen.
(Beifall bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Erklären Sie das doch bitte einmal!)
Die Vereinfachung besteht nämlich unter anderem darin, dass Sie die Pendlerpauschalen sowie die Steuerbefreiung für Sonn- und Feiertagsarbeit und für Nachtzuschläge streichen wollen. Auf dieser Basis wollen Sie die Steuersätze senken. Wenn Sie noch mehr Beispiele brauchen, empfehle ich Ihnen, meine Rede von vor drei Wochen durchzulesen. Bergmannsprämie, Wohngeld und Mutterschaftsgeld habe ich da erwähnt.
Es gibt aber noch einen weiteren Ansatzpunkt für Vereinfachung, nämlich die Steuervereinfachung im Vollzug, so wie es in unserem Antrag steht: Steuervereinfachung betreiben, ohne dabei die Gerechtigkeit aus den Augen zu verlieren. Die Frage, die sich stellt und auf die wir in Nordrhein-Westfalen eine Antwort gefunden
haben,
(Dr. Volker Wissing [FDP]: Da bin ich einmal gespannt!)
lautet: Wie machen wir es einfacher für den Steuerpflichtigen? Dafür ist die Höhe des Steuersatzes weniger erheblich. Entscheidend ist das Verfahren. Dienstleistungen, Bürgerorientierung, Härte gegenüber Steuerhinterziehern zeigen und zuvorkommend gegenüber Steuerehrlichen sein – das sind die Dinge, auf die es ankommt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Der SPD-Finanzminister Jochen Dieckmann hat die vereinfachte Steuererklärung in Nordrhein-Westfalen
zusammen mit Finanzbeamtinnen und Finanzbeamten entwickelt, erprobt und auf alle Finanzämter in NRW
ausgeweitet. Ich will meinen Rat aus der letzten Sitzungswoche wiederholen: Besuchen Sie doch endlich eines der dieses Verfahren anwendenden Finanzämter, zum Beispiel in Bochum, Geldern oder Herne. Ein Zufriedenheitsgrad von 96 Prozent der betroffenen Steuerpflichtigen spricht für Jochen Dieckmann.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Zwei von drei Steuerpflichtigen können damit ihre Steuerklärung auf einem einzigen Blatt Papier abgeben.
Wer Kinder hat, braucht zwei Blätter. Für mehr als die Hälfte der Steuerpflichtigen wird damit die Steuererklärung deutlich einfacher und der Gerechtigkeitsanspruch wird nicht angetastet. Da wundert es nicht, dass die Finanzminister aller Länder, also auch Herr Faltlhauser, beschlossen haben, diese Form ab 2005 in allen Bundesländern zuzulassen.
Sie sehen, die von Ministerpräsident Peer Steinbrück geführte Landesregierung hält nicht so viel von Steuerutopien, die von Vereinfachung sprechen und Umverteilung meinen. Sein "Bierdeckel" hat DIN-A4-Format, aber er hat den großen Vorteil, dass es ihn wirklich gibt, und zwar in ganz großer Zahl.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Wir stimmen überein, dass die Vereinfachungen im Steuerrecht weitergehen müssen, sowohl in der materiellen als auch in der praxisorientierten Anwendung. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Eine Bewerbungsrede für Herrn Dieckmann!)
Die Weiterverarbeitung der elektronischen Steuererklärung zur elektronischen Steuerkarte ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg; die Abgabe der Lohn- und Umsatzsteuervoranmeldungen auf elektronischem Weg war ein weiterer. Seit der Einführung von Elster-Lohn sind 35 Millionen elektronische Steuerbescheinigungen
übermittelt worden. Jede Lohnbuchhalterin und jeder Auszubildende im Betrieb kann Ihnen sagen, was
das an Bürokratieabbau bedeutet.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die einheitliche Wirtschaftsidentifikationsnummer soll ein weiterer Baustein sein. Ich gehe davon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema ist Ihnen ebenfalls noch bekannt. Eine bundeseinheitliche Wirtschaftsnummer,
die die Steuernummer ersetzt und die die Betriebsnummer bei Krankenkassen und Arbeitsagentur
sowie die Beitragskontonummer bei der Berufsgenossenschaft und den Kammern ersetzen könnte, klingt bei dem Nummernsalat, den wir in den Betrieben haben, fast wie eine Vision. Es ist aber keine. Dieser Punkt nahm, wie im Protokoll nachzulesen, breiten Raum in der Ausschusserörterung zum Steueränderungsgesetz
2003 ein. Das Ergebnis kennen Sie; es war wie immer: Sie haben Nein gesagt.
Stattdessen fragen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, unter Nr. 34 Ihrer Großen Anfrage -man höre! -:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Abschaffung ganzer Steuergesetze das Steuerrecht
vereinfacht?
Ich finde die Frage echt toll. Ich hoffe nur, dass im Innen- und Rechtsausschuss niemand auf die Idee
kommt, Strafgesetze abzuschaffen, um die Bürokratie zu vereinfachen.
(Beifall bei der SPD – Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie haben die Frage mit Ja beantwortet!)
Natürlich führt die Abschaffung von ganzen Gesetzen grundsätzlich zu Vereinfachung, Bürokratieabbau und
Einsparungen in der Verwaltung, (Zuruf der Abg. Birgit Homburger [FDP]) aber nur, wenn man sie ersatzlos streicht, Frau Homburger. Zum ersatzlosen Streichen gehört auch, dass man sich im Klaren ist, was dann passiert, und dass man das den Menschen auch sagt.
(Dr. Volker Wissing [FDP]: Die Bundesregierung hat einfach nur "Ja" geantwortet!)
Diese Diskussion hatten wir vor drei Wochen zu dem Bierdeckelkonzept von der CDU/CSU, das auch nicht
konkret geworden ist.
Ich gebe zu, dass ich ziemlich gespannt war, was sich hinter dem Titel "Herausforderungen der Globalisierung annehmen, Unternehmensteuern modernisieren, Staatsfinanzen durch mehr Wachstum sichern" verbirgt.
Sie hatten – so war in der Presse zu lesen – erwartet, dass unsere Entwürfe zur Umsetzung der Ergebnisse aus dem Jobgipfel diese Woche debattiert werden; sie werden erst nächste Woche debattiert. Also haben Sie ganz schnell ein Papier auf den Weg gebracht. Ich halte es für richtig, dass wir einen Entwurf vorlegen, in dem sich alle Mitglieder der Koalitionsfraktionen wiederfinden, hinter dem alle stehen. Wenn es Differenzen oder Unstimmigkeiten gibt, dann lösen wir sie vorher.
Sie wählen einen anderen Weg: Sie haben die Erbschaftsteueränderung aus Bayern ins Konzept 21 übernommen und jetzt eingebracht. Was lese ich heute Morgen im "Handelsblatt"? Bei den Unions-Finanzministern, die gestern zur Finanzministerkonferenz von Bund und Ländern zusammenkamen, wächst das Unbehagen gegen die Erbschaftsteuerreform.
(Dr. Kurt Faltlhauser, Staatsminister [Bayern]: Das stimmt nicht! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine
Falschmeldung! Das war einstimmig!)
Also bitte: Wir streiten vorher, Sie streiten hinterher. Wir streiten überhaupt nicht darüber, ob es sinnvoll ist, die Unternehmensnachfolge steuerlich zu erleichtern. Aber wir können sehr wohl über die Gegenfinanzierung streiten. Wir wollen auch nicht darüber streiten, ob man über eine Erhöhung der Dividendenbesteuerung reden kann. Aber wir sollten darüber reden, ob sich
eine Entlastung der kleinen und mittelständischen Unternehmen, der Familienunternehmen bei der Erbschaftsteuer nicht innerhalb der Ländersteuern gegenfinanzieren lässt. Die Erbschaftsteuer ist eine Ländersteuer.
Deshalb ist es sinnvoll, dass sich die Länderkammer vorrangig damit befasst.
Was bei dem Papier, über das Sie heute debattieren wollen, herausgekommen ist, spricht Bände:
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie haben die falsche Zeile gelesen!) ein dreiseitiger Schnellschuss mit den üblichen Textbausteinen in Floskelform. Ganz am Ende wird die Bundesregierung in vier Spiegelstrichen aufgefordert, ein Konzept für niedrigere Steuersätze vorzulegen, eine
rechtsformneutrale Unternehmensbesteuerung darin einzubetten, (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP] – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie hat
es!)
Einsparvorschläge für die Senkung der Steuersätze vorzulegen und die Kapitalismuskritik zu unterlassen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Endlich hat sie es!)
Das ist alles, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Nach meiner Einschätzung klappt die Zusammenarbeit im Finanzausschuss ganz gut.
(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Dann müssten Sie doch unseren Antrag kennen!)
– Ich habe ihn gelesen, auch wenn es mir manchmal schwer fällt, das zu lesen, was Sie zu Papier bringen.
(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie müssen nicht nur lesen, sondern auch handeln!)
Angesichts dieses Papiers frage ich mich – sicherlich nicht nur ich, sondern auch die Menschen draußen im Land -: Ist es Oppositionspolitikern eigentlich verboten, mitzuwirken, eigene Vorschläge zu machen oder Konzepte zu entwickeln? Für mich ist Ihr Antrag ein Fetzen Papier, der nur Floskeln enthält.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, bevor Sie nun vollends in Begeisterung ausbrechen, möchte ich Sie auf Ihre abgelaufene Redezeit aufmerksam machen.
Gabriele Frechen (SPD):
Eine letzte Bemerkung. In der "Westdeutschen Zeitung" vom 16. April ist zu lesen:
Merkels liebstes Konzept: Konzepte einfordern. Ob Körperschaftsteuer oder Lohndumping: Die Union vollzieht eine ordnungspolitische Wende nach der anderen. Ist das Taktik oder Unvermögen?
Egal was es ist, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auf jeden Fall ist es zu wenig.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Aber wesentlich mehr
als das, was Sie vorgelegt haben! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Wir haben wenigstens einen Gesetzentwurf!
Sie nicht!)