
Rede von Gabi Frechen zum Antrag Fraktion der CDU/CSU
Ein modernes Steuerrecht für Deutschland – Konzept 21
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Frechen, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Gabriele Frechen (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über einen Antrag, der vor wenigen Tagen Geburtstag hatte. Ein Jahr lang sind die Kollegen der CDU/CSU-Fraktion durch das Land gezogen, um die Menschen glauben zu machen, dass ihr Steuerkonzept die große Reform und die große Weisheit ist. Der Vater des Gedankens ist Ihr ehemaliger Finanzexperte Friedrich Merz. Das Ganze hieß ursprünglich Steuererklärung auf dem Bierdeckel. Nun wissen auch die Kollegen von CDU und CSU, dass ein Bierdeckel eigentlich an den
Stammtisch und nicht in den Deutschen Bundestag gehört. So haben sie den Bierdeckel zu einem Konzept weiterverarbeitet. Viel geholfen hat es aber nicht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Anhörung hat ganz deutlich gezeigt, dass erhebliche Mängel in Ihrem Konzept versteckt sind. Der Spiegel titelt nicht zu Unrecht Bierdeckels Tod. Trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten. Gemeinsam ist uns die Erkenntnis, dass das Steuerrecht vereinfacht werden muss. Wir müssen Ausnahmetatbestände streichen sowie Steuerschlupflöcher und Gesetzeslücken
schließen. So viel zur Theorie. Doch leider hört bei der Umsetzung die Gemeinsamkeit weitestgehend auf. Ich erinnere nur an das Steuervergünstigungsabbaugesetz, die Abschaffung der Eigenheimzulage und zuletzt an
das EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz. Möglichkeiten hatten Sie genug. Aber Sie haben keine genutzt. Immer wenn es konkret wird, tauchen Sie ab.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gleichzeitig legen Sie ein Konzept vor, das den Anspruch erhebt, einfach und gerecht zu sein. Geht das denn überhaupt? Kann ein Steuergesetz einfach und gleichzeitig gerecht sein? Ich sage: Objektiv geht das nicht. Jede
Vereinfachung ignoriert Lebenssachverhalte. Jede Pauschalierung führt zum Verlust von Gerechtigkeit. Deshalb müssen wir uns immer fragen, wie viel Vereinfachung wir uns erlauben können, damit unser
Gerechtigkeitsanspruch nicht pervertiert wird. Subjektiv darin stimme ich Ihnen zu ist es durchaus möglich, dass eine Vereinfachung zu einem Gefühl von Gerechtigkeit beiträgt. Die Komplexität der Materie und die vielen Ausnahmen, die oft nur diejenigen nutzen können, die sich professioneller Hilfe bedienen, führen zu einer gefühlten Ungerechtigkeit. Steuerpflichtige wissen nicht, ob sie alle Möglichkeiten in Anspruch genommen haben,
und kommen meistens zu Unrecht, manchmal aber auch zu Recht zu dem Ergebnis, dass die Materie sie aufgrund ihrer Kompliziertheit benachteiligt. Wir stimmen überein, dass es Einzelfallgerechtigkeit im Steuerrecht nicht geben kann. Durch das von Ihnen vorgelegte Konzept wird aber die soziale Balance in erhebliche Schieflage gebracht.
Machen Sie es sich nicht zu einfach, wenn Sie alles abschaffen und niemandem sagen, was eigentlich
abgeschafft wird?
(Elke Wülfing (CDU/CSU): Frau Scheel hat gesagt, dass die Steuern erhöht werden!)
Frau Wülfing, Sie werden ja gleich noch reden. Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann sollten Sie das von diesem Rednerpult aus tun.
Die Steuerfreiheit bei den Sonn- und Feiertagszuschlägen wollen Sie ja ganz besonders gern streichen. Und was ist, wenn sie gestrichen wird? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder haben die Menschen, die die Belastung durch die Schichtarbeit zu tragen haben, netto weniger in der Tasche oder die Bruttoentgelte müssen angehoben werden. Haben Sie bei Ihren Innenministern einmal gefragt, was das nur die Polizei und die
Krankenhäuser kostet? Gehen Sie einmal zu Ihrem Mittelständler, der einen Schichtbetrieb führt, und fragen Sie ihn, was für eine Lohnkostenerhöhung und was für einen Wettbewerbsverlust das für ihn bedeutet. Bisher haben Sie das nicht getan, aber ich.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Dr. Meister, Sie haben von Familie gesprochen. Haben Sie den Familien auch gesagt, dass künftig das Mutterschaftsgeld besteuert werden soll? Sie sehen die Streichung dieser Ausnahme vor. Haben Sie den Kumpels in Nordrhein-Westfalen gesagt, dass für Sie die Bergmannsprämie und die Abfindungen Subventionen sind, die gestrichen werden müssen? Haben Sie den Pendlern aus der Pfalz, aus dem Sauerland und aus der Eifel, die jeden Tag in die Ballungszentren zur Arbeit fahren, gesagt, dass jede Entfernung über 50 Kilometer zum
Privatvergnügen degradiert werden soll? Haben Sie den Studenten gesagt, dass sie künftig nicht nur
Studiengebühren bezahlen sollen? Übrigens, das lehnen die SPD in Nordrhein-Westfalen und auch unser Ministerpräsident Peer Steinbrück zu Recht strikt ab.
(Beifall bei der SPD)
Haben Sie den Studenten auch gesagt, dass die Steuerfreiheit von Stipendien abgeschafft werden soll, da sie eine Subvention darstellt? Ist das Ihre Vorstellung von Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit? Meine nicht!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In Ihrem Konzept regen Sie an, die neuen Medien zu nutzen. Darauf hat gerade auch Herr Rzepka
hingewiesen. Das ist eine Bombenidee; sie kommt nur reichlich spät. Vielleicht würde Ihnen ein Besuch in einem nordrhein-westfälischen Finanzamt einmal gut tun: Dort, im roten NRW, könnten Sie sehen, dass nicht nur Elster, sondern auch die vereinfachte Steuererklärung vom SPD-Landesfinanzminister Jochen Dieckmann bereits
erfolgreich umgesetzt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Selbst Bayern hat es jetzt übernommen!)
Alle 16 Länderfinanzminister kommen in der Bewertung des Konzeptes einstimmig zu dem Ergebnis, dass Ihr Modell nicht finanzierbar ist. Wir streiten uns in unregelmäßigen Abständen über das 3-Prozent-Kriterium, das Sie wie eine Monstranz vor sich hertragen. Wie passt ein Haushaltsloch von 10 Milliarden Euro in diese Diskussion?
Rechnet man noch das Kopfgeld in der Krankenversicherung und andere utopische Wahlversprechen hinzu, bedeutet das laut Herrn Seehofer ein 100-Milliarden-Euro-Haushaltsloch.
Von einer Gegenfinanzierung gibt es weit und breit keine Spur.
(Hans Michelbach (CDU/CSU): Das ist durchgerechnet!)
Von uns verlangen Sie, dass die Änderungen in der Körperschaftsteuer bis auf den letzten Cent gegenfinanziert werden. Das mag daran liegen, dass Sie an uns deutlich höhere Ansprüche als an sich selbst stellen. Es kann aber auch daran liegen, dass Sie wieder einmal überhaupt nicht wissen, wo Sie stehen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Michael Glos hat in der Financial Times Deutschland gesagt:
Wir müssen bei der Senkung der Unternehmenssteuern zumindest zu einer Teil-Gegenfinanzierung kommen.
Man müsse das Finanzierungskonzept aber nicht bis zur letzten Mark ausrechnen. Hingegen sagt Volker
Kauder:
Wir unterstützen eine Unternehmenssteuerreform, aber nur bei hundertprozentiger Gegenfinanzierung.
Was wollen Sie denn eigentlich?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Allein für die Kommunen würde Ihr Modell einen Rückgang der Einnahmen um 1,5 Milliarden Euro bedeuten.
Sie haben schon einmal probiert, die Kommunen zum Anhängsel des Bundes zu machen. Damals hat Ihnen die CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth gesagt: Was bei der Reform der Gewerbesteuer auf einem gutem Weg war, haben die Länder zu Fall gebracht. Ergänzend füge ich hinzu: Es waren nicht die SPD-geführten Länder, die es zu Fall gebracht haben.
Beim Thema Erbschaftsteuer ist bei Ihnen ebenfalls ein klarer Ja-aber-vielleicht-doch-nicht-Kurs zu
erkennen. Der bayerische Finanzminister schlägt Änderungen bei der Erbschaftsteuer zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge vor. Diese kopieren Sie dann eins zu eins in Ihr Konzept. Als es an die Umsetzung ging, war im Handelsblatt zu lesen:
Auch die aus Bayern stammende Erbschaftssteueränderung trifft auf Widerstand in einigen CDU-Ländern.
Ist das Taktik oder Unvermögen?
Eigentlich sollte diese Lesung bereits in der letzten Woche stattfinden. Sie wurde verschoben, um die Ergebnisse aus der Finanzministerkonferenz zur Unternehmensbesteuerung abzuwarten. Aber einmal ganz im Ernst: Was hat Ihr Konzept mit Unternehmensbesteuerung zu tun? Doch überhaupt nichts!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In der Anhörung wurde ganz deutlich, dass gerade dieser Punkt fehlt. Die FDP war schlauer. Sie hat ihren Gesetzentwurf zurückgezogen und gesagt: Wir machen es noch einmal, wenn wir mit der Unternehmensteuer so weit sind. Sie aber hatten gehofft, Ihren Antrag bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in der Schublade verschwinden lassen zu können oder ihn einfach in der aktuellen Debatte mit zu verbraten, ohne dass noch einer darüber
spricht. Den Gefallen tue ich Ihnen nicht.
Bei Ihnen passen schlüssiges Handeln und Reden nicht zusammen. Sie ziehen über die Dörfer und tun so, als ob Sie den Stein der Weisen gefunden hätten. Wenn es dann darum geht, sich der Diskussion zu stellen, tauchen Sie ab und suchen Nebenkriegsschauplätze. Das geht nicht.
(Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Was ist jetzt mit dem Vorschlag zur Erbschaftsteuer?)
Herr von Stetten, ich habe noch ein schönes Zitat für Sie aus einem Kommentar des Deutschlandfunks:
Oder Angela Merkel und Edmund Stoiber hatten einfach nicht damit gerechnet, vom Bundeskanzler beim Wort genommen zu werden. Sollte das der Fall sein, muss freilich der Eindruck entstehen, dass da ein alter Fahrensmann gleich zwei Leichtmatrosen vorführte. Und damit dürften die Probleme für die Union im Allgemeinen und Angela Merkel im Besonderen erst beginnen.
(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Schiff ahoi!)
Ich sage: zu Recht. Denn die Menschen wollen verlässliche Politikerinnen und Politiker, die auch in schweren Zeiten meinen, was sie sagen, und sagen, was sie tun.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Deswegen sehnen
sich die Menschen so sehr nach der SPD!)
Sie wollen keine Leichtmatrosen und sie wollen keine Rückwärtsroller, auch nicht in NRW.
(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Sie wollen kein Rot-Grün!)
Das einzige Konzept, das Sie haben, ist, Konzepte von anderen einzufordern. Das ist eindeutig zu wenig. Sie sind nämlich in die Opposition gewählt und nicht in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie wollen im Wartehäuschen die auf dem Jobgipfel beschlossenen Änderungen bis zum 22. Mai aussitzen. Das funktioniert nicht. Das werden wir Ihnen vorhalten.
(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Kennen Sie Ihre Wählerumfragen?)
Ja, nehmen wir die heute veröffentlichte: 1 Prozent Zugewinn bei den Grünen, 1 Prozent Rückgang bei der CDU. Mühsam nährt sich das Eichhörnchen. Sie bekommen Ihre Quittung am 22. Mai in Nordrhein-Westfalen.
Rückwärtsroller und Leichtmatrosen wollen die Menschen da nicht haben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)