Die Bürgernahe Gabriele Frechen

Gabriele Frechen in ihrem Berliner Büro
Gabriele Frechen in ihrem Berliner Büro

Das ist wirklich selten: Eine neu gewählte Bundestagsabgeordnete bewirbt sich für den Petitionsausschuss, wo direkte Eingaben von Bürgern und Bürgerinnen bearbeitet werden. Das bedeutet Sisyphusarbeit und ist wenig öffentlichkeitswirksam. In der Regel werden Parlamentsneulinge "hineingebeten", sozusagen der Petitionsausschuss als "Einsteigermodell" für den Bundestagsabgeordneten. Die Sozialdemokratin Gabriele Frechen nennt ihre Entscheidung für den Bundestagsausschusses "nur einen logischen Schritt vor dem Hintergrund ihres Politikverständnisses".

Es ist diese Unmittelbarkeit, diese Bürgernähe, die die leidenschaftliche Kommunalpolitikerin aus Hürth bei Köln braucht, um Politik zu gestaltet. Das motiviert sie. Die 47-Jährige engagiert sich gern für Menschen. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sie in einer Großfamilie mit sechs Geschwistern aufgewachsen ist. "Ich habe in diesem einen Jahr im Bundestag unzählige Institutionen und Bundesämter kennengelernt, von denen ich vorher nie etwas gehört hatte. Es gab Probleme aller Art zu lösen – kleine und große. Der Petitionsausschuss ist das Gremium im Deutschen Bundestag, wo Bürgernähe exzellent praktiziert werden kann", resümiert die Parlamentarierin.

Trotz des Bundestagsmandats liegt der Politikerin, von Beruf Steuerberaterin, die Gemeinde als unterste politische Ebene weiterhin am Herzen. Die Entscheidungen auf der Bundesebene, die auf die Kommune rückwirken, will sie besonders im Auge behalten. Noch ist die Gemeindefinanzreform nicht verabschiedet. Wie sie sich auswirkt, weiß sie als Kommunalpolitikerin zu beurteilen. "Wie soll ich sonst noch in den Rat gehen, wo die Etatplanungen immer schwieriger werden!", meint die Parlamentarierin. Der Druck auf die Kommunen ist so groß, dass sich die Kommunalpolitiker unter den Bundestagsabgeordneten schnell finden, auch parteiübergreifend, ist Frechens positive Erfahrung in Berlin. "Da habe ich mich mit Kollegen und Kolleginnen aus anderen Bundestagsfraktionen bestens verstanden."

Als der Arbeitsplatz Regierungsviertel in der Hauptstadt mit den vielen "alten Hasen" für sie noch ganz neu war, habe sie Schwellenangst gehabt. Völlig unbegründet, wie Frechen heute festhält. "Es ist immer zugehört worden, und ich wurde ernst genommen." Und was ist nun der gravierendste Wandel im Politikalltag nach dem Sprung auf die Bundesebene? "Die Diskussionen sind viel theoretischer geworden. Man hat die Auswirkungen nicht mehr so direkt vor Augen. Ich bin nicht mehr so oft in Hürth und kann deshalb auf dem Weg zum Einkauf nicht mehrfach angesprochen werden." Das mache sich bemerkbar, das fehle ihr. In Berlin würde eben über größere Probleme diskutiert und verhandelt. Da sei die Diskussion eben nicht mehr so praxisnah wie auf kommunaler Ebene, wenn es beispielsweise um den Verlauf einer Straße durch den Ort gehe.

Frechen sitzt auch als Vollmitglied im Finanzausschuss, ein Wunschausschuss der Steuerexpertin. Ihr Thema dort: Steuervereinfachung. Das sei ein umfangreiches Aufgabengebiet, Arbeit für mehr als eine Legislaturperiode. Sie gibt ja zu, dass sie die Steuergesetze selbst nicht mehr versteht und immer froh war, in einer Praxis mit mehreren Kollegen zusammengearbeitet zu haben, um bei schwierigen Fragen schnell Rat am Nachbarschreibtisch zu holen. Auf die Frage, warum die Steuervereinfachung ein so großes Thema geworden ist, sagt sie: "Wir haben viel mehr als andere Länder über Steuern geregelt. Wir haben ganz viele Subventionen im Steuer- statt in einem gesonderten Recht. Beispiele sind die Eigenheimzulage oder steuerfreie Sonn- und Nachtzuschläge. Wir steuern zuviel mit Steuern", so ihr Fazit. Das dürfe es nicht geben, dass noch nicht einmal der Berater alle Gesetze verstünde. Das Vertrauen der Bürger schwinde, weil Menschen eben nicht genau wüssten, ob sie nun gerecht besteuert worden seien. Das schaffe Unzufriedenheit, so Frechen und eine Landschaft, die sich leichter damit tue, Steuern zu "umgehen".

Frechen will sich für mehr Steuerehrlichkeit stark machen. Doch das ist leichter gesagt, als getan. Da verweist sie auf die Überlegung, rückgeführtes Kapital aus dem Ausland pauschal mit 25 Prozent zu besteuern. Bei diesem Punkt erlebt sie viel Diskussionsbedarf, wenn sie so über die Dörfer in ihrem Wahlkreis reist. "Entweder haben wir nichts von viel oder 25 Prozent, und damit können wir etwas machen, in der Forschung, in der Bildung oder für die Familie", argumentiert sie dann, wenn Kritik von denjenigen kommt, die eben jahrelang brav ihre Steuern abgeführt haben.

Doch noch ist das Gesetz nicht verabschiedet. Eine Diskussion über Steuerehrlichkeit sei gesellschaftlich dringend notwendig. Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Versicherungsbetrug, all diese Entwicklungen seien doch insofern vergleichbar, dass es immer darum geht, einen Vorteil auf Kosten anderer herauszuholen. "Wir müssen diskutieren und erreichen, dass sich Menschen wieder mehr füreinander verantwortlich fühlen", hebt Frechen ohne Pathos hervor. Wer sie über Gerechtigkeit reden hört, muss sie fragen, ob sie bei manchen Entscheidungen nicht mit Bauchschmerzen aus der Sitzung geht. "Es gibt Aspekte, da mache ich eine Faust in der Tasche. Ich habe ein großes Problem mit der Herabsetzung der Bezugszeit für Arbeitslose über 55 Jahre. Das befürworte ich nur, weil ich fest daran glaube, dass die Welt in zwei Jahren eine andere ist." In dieser Aussage schwingt auch ihr unerschütterlicher Optimismus mit. "Ich habe sehr viel Freude daran, die Menschen zu überzeugen, dass die Reformen notwendig und richtig sind. Und dass es trotz aller Unkenrufe ausgewogen und gerecht ist, was wir tun", sagt sie. Vieles komme an der Basis nicht an. Deshalb versuche sie zu erklären, was die Zeitungen nicht schreiben würden, weil es keine Schlagzeile sei.

Ihre Antwort auf die Frage, was denn nun gerecht ist, zeigt, wie schwer ihr hier eine Definition fällt. Gerecht sei es, wenn jeder die gleichen Chancen hat, die gleichen Startbedingungen. Beim Start sei aber nicht jeder gleich, es gäbe Früh- und Spätstarter, kommt die Einschränkung. Diese müssten dann auch eine zweite oder dritte Chance bekommen. "Gerecht ist, wenn alle Menschen das Gefühl haben, dass sie nicht über ihr normales, verträgliches Maß hinaus strapaziert werden, egal in welchem Bereich." Die Chancengleichheit für Kinder sei jedoch der Anfang von allem. Doch das Thema Gerechtigkeit spiele daneben auch eine Rolle in der Beziehung von Eltern und Kindern oder von Mann und Frau untereinander. Es sei Diskussionsstoff zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, gerade wenn Fälle von Mobbing Streit auslösten. Über Gerechtigkeit und Verantwortung nachzudenken, sei ebenso Aufgabe jedes Einzelnen.

Wer Gabriele Frechen erlebt, ihren Elan und ihre Lebensfreude, kann sich gut vorstellen, dass sie Bürger und Bürgerinnen überzeugen kann. Durch ihre direkte, offene, kommunikative Art springt schnell ein Funke über. Sie mag das, was sie seit einem Jahr tut, auch wenn es viel Verantwortung bedeute. Manchmal, wenn sie am Reichstag vorbeigeht, denkt sie: "Hier darfst du arbeiten… das ist etwas Besonderes." Damit will sie aber auf keinen Fall sagen, dass sie selbst etwas Besonderes darstelle, unterstreicht sie ausdrücklich. Die Unterstützung durch ihre Familie, gibt ihr viel Rückenwind für den anstrengenden Job. "Ich habe eine ganz lange Leine, aber sie ist da und ein Netz, wo ich aufgefangen werde."