
Visionen ist eines seiner Lieblingswörter. Den Blick in die Zukunft lässt Klaus Lennartz besonders gern schweifen. Mit dem Ehrenvorsitzenden der SPD und früheren Bundestagsabgeordneten Klaus Lennartz sprachen Uwe Schindler und Jürgen Koch.
KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Lennartz, die SPD im Erftkreis macht zurzeit keinen aufgeweckten Eindruck. Um die Parteispitze ist es ruhig, die Bundestagsabgeordneten halten sich zurück, die Bergheimer SPD ist nur mit sich selbst beschäftigt. Und im Kreistag ist nicht viel mehr als Polemik zu spüren. Das muss Sie als Ehrenvorsitzenden doch schmerzen.
KLAUS LENNARTZ: Nur dann, wenn es so wäre, wie Sie es sagen. Unsere beiden Bundestagsabgeordneten arbeiten effektiv. Helga Kühn-Mengel ist Obfrau im Gesundheitsausschuss, sie hat enorme Arbeit in die Gesundheitsreform eingebracht. Das gilt auch für Gabi Frechen. Wer bei der Steuerreform mitarbeitet, der ist in Berlin voll eingebunden. Das Gleiche gilt für Hans Krings als Staatssekretär in Düsseldorf und Edgar Moron als Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag. Und Hardy Fuß macht als Fraktionsvorsitzenden im Kreistag eine glänzende Figur. Die Politik der SPD wird von ihm nach außen plakativ und sachlich dargestellt.
Man hat aber manchmal den Eindruck, dass es der SPD an Ideen für die Zukunft mangelt.
LENNARTZ: Die SPD hat Ideen. Doch Vorschläge werden leider immer unter dem Gesichtspunkt gesehen, aus welchem politischen Lager sie kommen. Das muss sich ändern. Vorschläge müssen auf ihren Sinn und ihre Durchsetzbarkeit geprüft werden.
Vor dem Blick in die Zukunft eine Bestandsaufnahme. Wo liegen die Stärken des Erftkreises?
LENNARTZ: Er ist wirtschaftlich noch immer einer der stärksten Kreise dieser Republik. Die Umstrukturierung vom Industriekreis zum von der Dienstleistung geprägten Kreis ist ja fast abgeschlossen. Aber die Stärke des Erftkreises ist die Verbindung zwischen der Industrie, die auch mittel- und langfristig eine Zukunft hat, mit dem Dienstleistungsbereich. Das ist eine exzellente Konstellation, wie wir sie sonst in Deutschland nicht haben.
An welche Beispiele denken Sie?
LENNARTZ: Warum ist denn die Papierfabrik nach Hürth gekommen? Warum unterhalten wir uns über das neue Gas- und Dampfkraftwerk? Warum sprechen wir über die Ersatz-Verbrennungsanlage in Knapsack? Warum haben wir immer wieder Anfragen von potenziellen Investoren? Wieso hat sich die ganze Logistik hier angesiedelt? Ich muss allerdings auch fragen: Was muss ich tun, um diese Stärken noch weiter auszubauen?
Und wo liegen die Schwächen?
LENNARTZ: Die liegen noch immer im Ausbildungspotenzial aufgrund der Monopolstruktur, die wir in den letzten Jahrzehnten hatten. Ich meine etwa die Chemie und Rheinbraun. Ein Elektromeister von Rheinbraun kann nicht in jedem Fall im Dienstleistungsbereich eingesetzt werden, sei es in den Hürther Studios oder wo auch immer. Das sind Dinge, die negativ sind. Deshalb müssen wir noch mehr für die Aus- und Weiterbildung tun, wie das heute schon etwa bei Infraserv in Knapsack geschieht. Eine weitere Schwäche ist, dass wir zu wenig darüber nachdenken, was passieren muss, um auch in den nächsten 15 Jahren stark zu sein. Es fehlt uns an visionärer Kraft. Es fehlt ein Macherpool, der die Gedanken aufnimmt, prüft und danach fragt, was er davon umsetzen kann.
In welche Richtung müsste sich der Erftkreis denn entwickeln?
LENNARTZ: Es gibt ja Zukunftsforscher, die sagen, wohin sich ihrer Meinung nach die Weltwirtschaft entwickelt. Danach werden wir einen absoluten Run auf Life Science haben, auf Gesundheitspolitik und die Nano-Technologie. Die Voraussetzungen für die Weiterentwicklung dieser Technologien sind hier bei uns im Erftkreis vorhanden. Und sehen Sie sich das Hochschuldreieck Bonn, Aachen, Köln an. In Aachen gibt es Lehrstühle für Nano-Technologie und Life Science, in Bonn einen, der sich mit Gesundheitspolitik beschäftigt. Wir haben also die nötigen Voraussetzungen. Doch was fehlt, ist das Bündeln des Wissens auf bestehende Unternehmen und auf Neugründungen.
Thema Neugründungen. Sie haben ja schon vor einem Jahr vom Medica-Park geschwärmt. Was ist daraus geworden?
LENNARTZ: Die Investoren haben sich nach zahlreichen Gesprächen entschieden, das Ziel aufzugeben, in den Krankenhausbedarfsplan des Landes aufgenommen zu werden. Dann hätten auch Patienten, die etwa bei der AOK versichert sind, ohne weiteres behandelt werden können. Die Investoren wollen das aber jetzt privatwirtschaftlich organisieren. Für diesen Medica-Park brauchen Sie ja ein Krankenhaus, und da wir in der Region Köln 2500 Betten gestrichen bekommen, ist das Land zurzeit nicht bereit, uns in den Bedarfsplan aufzunehmen. Deshalb soll das nun privat laufen.
Im Erftkreis?
LENNARTZ: Es gibt mittlerweile die Anfrage, ob wir uns nicht an eine bestehende Privat-Uni anhängen können. Ich will das nicht kommentieren, werde mich aber darum bemühen, dass der Medica-Park in den Erftkreis kommt.
Wäre denn dieses Projekt etwas für den von Ihnen erwähnten Macherpool?
LENNARTZ: Natürlich. Es wäre doch Aufgabe der Politik, in so einem Fall, nach Persönlichkeiten in der Industrie, im Mittelstand oder auch in der Politik zu suchen, die das Projekt nach vorne treiben könnten. Es gibt genügend Leute für einen solchen Macherpool: Ärzte, Wissenschaftler, Banker, Handwerk und Gewerbe und die örtlichen Bürgermeister.
Wenn man einen Macherpool braucht: Ist das denn eine Bankrotterklärung der Politik, weil man sagt, die Politik schafft es nicht?
LENNARTZ: Nein. Absolut nicht. Andererseits: Sie wissen doch, wie lange es dauert, bis die Politik sich ändert, auch wenn sie weiß, dass sie sich ändern muss. Es gibt halt immer noch dieses Kirchturmsdenken.
Würde der Vorsitzende des Macherpools Klaus Lennartz heißen?
LENNARTZ: Ach, das ist absolut sekundär. Es kann auch der Landrat sein, es muss nur einer sein, der es durchführt. Das kann auch der Vorstandsvorsitzende einer Bank sein oder ein Pensionär, der hervorragende Arbeit geleistet hat. Entscheidend ist: Er muss Sach- und Fachkompetenz haben und einen entsprechenden Apparat hinter sich. Und die jeweilige Persönlichkeit ist immer nur für ein Projekt vorgesehen. Der Macherpool ist also projektbezogen.
Wohin muss sich der Kreis entwickeln?
LENNARTZ: Ich habe angeregt, und da bin ich mit Landrat Stump einig, ein neues Gutachten zur wirtschaftlichen Situation des Kreises in Auftrag zu geben. Wir wollen wissen: Wie sieht der Kreis in fünf oder zehn Jahren aus, und was können wir tun, um diese Entwicklung positiv darzustellen? Life-Science, Gesundheitspolitik, Nano-Technologie und Bildung dürften im Zentrum dieser Entwicklung stehen.
Wie sieht der Kreis in 20 Jahren aus?
LENNARTZ: Der Erftkreis hat das Potenzial, aufgrund der Menschen, die hier leben und arbeiten, aufgrund der Unternehmen und der rheinischen Mentalität Dinge anzupacken, auch in den nächsten zehn bis 15 Jahren die Nummer eins zu bleiben.
Wird es uns in 20 Jahren besser oder schlechter gehen?
LENNARTZ: Besser.
Aber die Vorstellung immer schneller, größer, weiter hat doch in jüngster Zeit einen Knacks bekommen?
LENNARTZ: Ich sag’s nochmal: Es wird den Menschen besser gehen. Der Kreis wird aufgrund seines Potenzials immer an erster Stelle sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Nennen Sie mir eine Region in Europa, die mehr Potenzial als die Region Köln, Bonn, Aachen hat.
Aber es gibt doch auch diese Alles-ist-so-schlimm-Mentalität. Was wollen Sie Bedenkenträgern entgegensetzen?
LENNARTZ: Indem ich positiv denke und mit diesem Denken auch werbe. Ich muss die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Menschen an ihre Zukunft glauben. Wenn ich den Menschen sage: »Morgen seid ihr tot«, dann brauche ich mich nicht zu wundern, wenn sie negativ denken. Ich muss den Menschen sagen, was sie an Positivem erwartet, nicht, was sie Negatives erwartet. Ich muss ihnen aber auch sagen, was sie tun müssen, und ihnen klarmachen: Wenn wir das nicht tun, dann wird es uns schlecht gehen.
Klaus Lennartz gehört zu den bekanntesten Politikern im Erftkreis. Der 59-Jährige stand von 1976 bis 2001 als Vorsitzender an der Spitze der Erftkreis-SPD, gehörte von 1980 bis 2002 dem Bundestag an und war von 1984 bis 1995 als ehrenamtlicher Landrat oberster Repräsentant des Erftkreises. 2001 wurde Lennartz zum Ehrenvorsitzenden der Erftkreis-SPD ernannt. Vor seiner Zeit im Bundestag arbeitete der Hürther als Abteilungsleiter der Innungskrankenkasse Köln und Dozent für Versicherungswesen an der Tagesfachschule der Handwerkskammer Köln. Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag wurde Lennartz im Herbst 2002 Repräsentant der Deutschen Leasing AG in Berlin und Vizepräsident des Deutschen Wirtschaftsverbandes. Bis heute gehört er dem Kreistag und dem Hürther Rat als Abgeordneter an. (us)