Großer Bahnhof fürs Kraftwerk

Der Kanzler schwebte mit 27-minütiger Verspätung über dem Niederaußemer Kraftwerk ein, gemeinsam mit Ministerpräsident Wolfgang Clement marschierte er ins Festzelt, 300 Gäste applaudierten. Das Bergmannsorchester spiele den John-Lennon-Klassikers „Imagine“, den RWE zum Werbesong erkoren hat. „Imagine“ heißt so viel wie „Stell dir vor…“.

Gerhard Schröder kann sich jedenfalls vorstellen, etwas länger Kanzler zu bleiben. „Ich freue mich schon, in meinem jetzigen Amt den nächsten BoA-Block einweihen zu können.“ Dafür muss er aber nicht nur die in zwei Wochen anstehende Bundestagswahl gewinnen, sondern auch die im Jahr 2006. Denn frühestens 2008 wird der nächste Block, so es denn einen geben wird, in Neurath ans Netz gehen, wie Kraftwerksdirektor Theo Tippkötter erläuterte. Und das auch nur, wenn ein Handel mit Emissionszertifikaten der Braunkohleverstromung keinen Strich durch die Rechnung macht.

Beim Hubschrauberanflug fiel Kanzler und Ministerpräsident das 170 Meter hohe Kesselhaus, dessen Lärmschutzverkleidung in Ozeanblau und Grau gehalten ist, ins Auge. Sie schickten deshalb nicht nur Grußadressen an die Ingenieure für ein Kraftwerk, das mehr Energie aus Braunkohle herausholen kann als jedes andere zuvor, sondern auch eine an die Architekten und Designer.

Clement erinnerte daran, dass schon 1991 die Leitentscheidung zur Braunkohle gefallen sei, das Land sich 1994 mit RWE auf ein Milliarden schweres Investitionsprogramm verständigt hatte, 1995 der Braunkohleplan, 1997 der Rahmenbetriebsplan und 1998 der Sümpfungsplan für Garzweiler II genehmigt wurden. Der Dank des Rheinbraun-Vorstandsvorsitzenden Berthold Bonekamp war ihm somit gewiss.

Schröder ließ jedenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, dass er an der Seite von RWE steht. Deutschland brauche Produktionsbranchen nach wie vor, sagte der Kanzler. So sehr er den Dienstleistungssektor schätze: „Aber wir in Deutschland können nicht davon leben, dass wir einander die Haare schneiden.“

Das, was in Niederaußem am BoA-Block geleistet worden sei, sei beispielhaft, lobte der Kanzler: „Wenn wir diese Technik weltweit anwendeten, zum Beispiel in China, dann hätten wir eine Kohlendioxid-Ersparnis, die weit über das heute Geforderte hinaus gehen würde.“ Das Ja zur Braunkohle sei aber nicht gegen die regenerativen Energien gerichtet.

Auf den berühmten roten Knopf drückten Kanzler, Ministerpräsident, RWE-Aufsichtsratsvorsitzender Friedel Neuber und RWE-Chef Dietmar Kuhnt in konzertierter Aktion. Bei 1027 Megawatt, der maximalen Leistung des Blocks, blieb die Anzeige stehen. Die Inbetriebnahme war allerdings nur symbolisch. 150 Stunden war der Kessel zwar schon in Betrieb, am 30. August lieferte er sogar schon 350 MW ins Netz. Doch vorgestern musste er erstmals abgeschaltet werden. Es gab Probleme mit einem Ventil. Im Frühjahr sollen alle Kinderkrankheiten überwunden sein.