„Alte Riesen sterben nicht“

Ob’s die Begeisterung der Sozialdemokraten über den Vortrag ihres Ministers gewesen war? Oder ob ihre knurrenden Mägen den Ausschlag gaben? Oder vielleicht beides?

Wie auch immer: Als NRW-Wirtschaftsminister Ernst Schwanhold am Samstag seine Rede auf dem SPD-Unterbezirksparteitag kurz vor 13 Uhr beendet hatte, da hob kein Sozialdemokrat den Finger, um dem prominenten Gast noch eine Frage zum Thema des Tages "Haben die »alten Riesen« Chemie und Braunkohle noch Zukunft?" zu stellen.

Den 140 Delegierten in der Peter-May-Halle in Erftstadt-Köttingen stand vielmehr der Sinn nach der traditionellen Parteitags-Suppe.

Schwanhold hatte auch nichts unternommen, um selbige seinen Parteifreunden im Erftkreis zu versalzen – die "alten Riesen" haben für ihn "eindeutig" Zukunft, betonte er. NRW müsse weltweit Chemiestandort Nummer eins bleiben, auch die Chlorchemie dürfe nicht aus der Angebotspalette herausgeschnitten werden. Sogar für die Nutzung der Solarenergie sei die Chlorchemie unverzichtbar – etwa bei der Produktion von Siliziumzellen. Und bei der Braunkohle handele es sich um eine förderungswürdige Technologie und um einen Wachstumsmarkt mit einem Volumen von 25 Milliarden Mark weltweit in den nächsten zehn Jahren.

SPD-Unterbezirksvorsitzender Klaus Lennartz hatte eingangs dazu aufgefordert, den Strukturwandel weiter voranzutreiben, politische Rahmenbedingungen zu setzen, die den Standort attraktiv machten. Der Erftkreis sei bekannt dafür, neue Wege zu gehen, hob Lennartz hervor, und kritisierte in diesem Zusammenhang Landrat Werner Stump (CDU): "Wer aus dieser Region einen beschaulichen Mühlenkreis machen und zu einer Wiege des Tourismus ausbauen will, der hat entweder keine Ahnung oder keine politische Alternative für die Zukunft der Menschen, die hier leben." Die SPD mache lieber "handfeste Politik", "die Blütenträume" überlasse man "dem Tourismus-Landrat".

Chips in der Windel

Ohne Träume geht’s allerdings auch bei Lennartz und der SPD nicht. So will sich der Vorsitzende für die Raumfahrt stark machen, möchte im Erftkreis ein Zentrum zur Kommerzialisierung der Raumfahrt errichten. Nirgendwo gebe es eine Institution, die prüft, welche Techniken der Raumfahrt auch auf der Erde hilfreich sind, sagte Lennartz am Rande des Parteitages.

"Chips in Weltraumanzügen registrieren jede Bewegung des Astronauten, so etwas könnte man auch nutzen, um Babys vor dem plötzlichen Kindstod zu bewahren, wenn man die Chips in Windeln steckt", nannte Lennartz ein Beispiel.

Seine Partei verabschiedete einstimmig einen Leitantrag des Unterbezirksvorstandes, in dem sich die Sozialdemokraten ausdrücklich zu Chemie und Braunkohle (inklusive Garzweiler II) bekennen.

Unter anderem wird der Bau eines Naphtha-Crackers in der Region gefordert (siehe nebenstehenden Bericht). Zudem appelliert die SPD an die Industrie, Kraftwerke zu entwickeln, die so wenig wie möglich Kohlendioxid ausstoßen.

Der Bedburger Guido van den Berg machte aber deutlich, die SPD habe nicht nur "Klütten im Kopf", sondern setze auch auf innovative Technologien. Die Bio- und Gentechnologie wurde an diesem Samstag ausgespart, dem Thema will sich die SPD in naher Zukunft aber annehmen.

Hans Krings, stellvertretender Unterbezirksvorsitzender, fasste zusammen. "Die alten Riesen stehen in der Defensive. Wir sehen aber einen Weg aus der Defensive. Die alten Riesen sterben nicht."